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22. Februar 2021

Fallstudie Technologie der Fertigungsverfahren - Dimensionierung Gusswerkstoffe

Technische Universität Darmstadt in Zusammenarbeit mit KONCAST GmbH | BÖLLINGER GROUP

Das Unternehmen KONCAST GmbH ist Spezialist für einbaufertige Aluminiumgusskomponenten in Prototypen- und Kleinserien der Bereiche Automotive (Antriebs- und Fahrwerktechnik), Maschinenbau- und Gerätetechnik. Hervorgegangen aus der Gießereisparte des Engineering-Dienstleisters Kontec, wurde KONCAST im Jahr 2004 von der BÖLLINGER GROUP zunächst als größter Einzelgesellschafter und kurze Zeit später als alleiniger Gesellschafter übernommen.
Das Unternehmen ist ausgerichtet auf die Herstellung innovativer Prototypen und Niedrigvolumen–Komponenten. Mit Implementierung der Niederdrucksandgusstechnologie im Jahr 2015 erfolgte ein weiterer Schritt in Richtung strategische Ausrichtung und Wachstum.
Zum Leistungsspektrum von KONCAST gehören neben Niederdruck- und Schwerkraftsandguss auch Nebenprozesse wie Modelltechnik, Kernherstellung, Wärmebehandlung und zerstörungsfreie Werkstoffprüfung sowie Projektmanagement.
 

Gießen

Das Gießen wird nach DIN 8580 [10] der ersten Hauptgruppe der Fertigungsverfahren, den „Urformenden Verfahren“, zugeordnet. Urformende Verfahren zeichnen sich dadurch aus, dass ein Werkstück aus einem zuvor formlosen Werkstoff durch Schaffen eines Zusammenhaltes hergestellt wird.
Gießen ist der kürzeste Weg vom Rohstoff zum fertigen Produkt, da es eine endkonturnahe Fertigung komplexer Bauteile ermöglicht. Weitere Vorteile des Gießens liegen in einer hohen Werkstoffausnutzung bei geringem Energieaufwand und in dem breiten Spektrum an Werkstoffen, die eingesetzt werden können. Allerdings sind die erreichbaren Genauigkeiten geringer als bei spanender Bearbeitung oder Umformverfahren. Aus diesem Grund werden durch Gießen üblicherweise Rohteile hergestellt, die an einzelnen Funktionsflächen anschließend spanend oder umformend nachbearbeitet werden. [1]
Die Werkstoffeigenschaften der Gussstücke sind abhängig von der chemischen Zusammensetzung und dem Gefüge im festen Zustand. Der Gefügezustand wiederum ist von der Abkühlgeschwindigkeit und den während des Erstarrens herrschenden Bedingungen für Keimbildung und Kristallwachstum abhängig. Um ein homogenes Gusskörpergefüge mit bestmöglichen mechanischen Eigenschaften sicherzustellen, muss eine gerichtete Erstarrung hin zum Einguss oder Speiser als dem Ort der letzten Erstarrung gewährleistet sein, um ein Nachspeisen des schwindenden Volumens zu gewähren. Große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einer so genannten gießgerechten Konstruktion des Gussstückes zu. [7]
Zur gussgerechten Gestaltung von Bauteilen ist ein großes fachspezifisches Wissen der Konstrukteure erforderlich, um beispielsweise Lunkerbildung oder starke Geometrieabweichungen durch Schwindung zu vermeiden. Um typische Gussfehler zu vermeiden, gibt es einige klassische Gestaltungsrichtlinien für die Konstruktion von Gussteilen. Insbesondere sollten Materialanhäufungen, schroffe Querschnittsübergänge, Hinterschneidungen und spitz zulaufende Kerne vermieden werden. Für weitere Gestaltungshinweise sei an dieser Stelle auf die Literatur verwiesen, insbesondere das beigelegte VDG-Merkblatt [5].

Gusswerkstoffe

Zum gießgerechten Gestalten von Gusswerkstücken ist die Beachtung der spezifischen Gießeigenschaften der Gusswerkstoffe unumgänglich. Beim Gießen kommt eine große Auswahl von metallischen Werkstoffen zum Einsatz. Diese können unterteilt werden in Eisengusswerkstoffe und Nichteisen-Gusswerkstoffe. [1] Von den Eisengusswerkstoffen sind besonders die hochkohlenstoffhaltigen Legierungen ausgezeichnet gießbar. Darunter versteht man Schmelzen, die zwischen 2,4 % und 4,3 % Kohlenstoff als Legierungselement enthalten. Der Stahlguss zählt nicht zu diesen Legierungen. Die Nichteisenwerkstoffe (NE-Werkstoffe) werden nach ihrer Dichte in Leichtmetalle und Schwermetalle unterteilt. Aus gießtechnischer Sicht sind vor allem die Stoffe Aluminium und Magnesium (Leichtmetalle) und Kupfer (Schwermetall), sowie deren Legierungen von Bedeutung. [8] Bei den Nichteisen-Gusswerkstoffen haben Legierungen auf Aluminiumbasis wegen der guten Gießbarkeit überragende Bedeutung. Aluminium zählt trotz seines sehr energieaufwendigen Herstellungsprozesses zu den wichtigsten Leichtbauwerkstoffen und zeichnet sich durch seine gute Formbarkeit und Bearbeitbarkeit, sowie eine gute thermische und elektrische Leitfähigkeit aus [9]. Die Dichte Beträgt mit 2,7 g/cm³ nur etwa ein Drittel der Dichte von Stahl, wobei die Werte der Zugfestigkeit von Stahl mit bestimmten Al-Legierungen fast erreicht werden können [8]. Durch die Bildung einer natürlichen Oxidschicht ist Aluminium zudem korrosionsbeständig. Bei einem Siliziumgehalt von 12 % liegt eine eutektische Gusslegierung vor. Ein niedrigerer Siliziumgehalt vermindert die Neigung zur Lunkerbildung und Warmrissen [1]. AlSi-Legierungen haben sehr gute Gießeigenschaften bei niedrigen Temperaturen [1]. Anwendung finden diese Legierungen in weiten Bereichen der Fertigung, beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt, im Fahrzeugbau, in der Elektrotechnik und im allgemeinem Maschinenbau [8]. Magnesiumlegierungen sind aufgrund ihrer sehr geringen Dichte ein weiterer wichtiger Gusswerkstoff des Leichtbaus. Mit geringen Gehalten an Aluminium und Zink, Mangan oder Silicium zur Verbesserung der Werkstoffeigenschaften sind Magnesiumlegierungen besonders im Fahrzeugbau und in der Luftfahrt relevant. Unter den Schwermetallen sind insbesondere Kupfer-Zink-Legierungen mit oder ohne Blei aufgrund ihrer sehr guten Gießbarkeit zu nennen. [1]

Wärmebehandlung

Durch eine Wärmebehandlung im Anschluss an den Gießprozess lassen sich die Eigenschaften bestimmter Gusslegierungen gezielt beeinflussen. Als wichtigste Möglichkeit der Wärmebehandlung kann das Aushärten genannt werden, welches eine Erhöhung der Festigkeit, der Dehngrenze und der Härte bewirken kann. Im Falle von Aluminium-Gusslegierungen beruht das Aushärten auf Entmischungsvorgängen im übersättigten Aluminiumkristall. Diese können stattfinden, wenn die Löslichkeit eines bestimmten Legierungsbestandteils mit sinkender Temperatur abnimmt. Somit lassen sich unter den Aluminium-Gusslegierungen nur solche aushärten, welche die Bestandteile Silizium oder Zink (jeweils in Kombination mit Magnesium) oder Kupfer enthalten. Da diese Vorgänge diffusionsgetrieben sind, ist ihr Ablauf abhängig von Zeit, Temperatur und insbesondere der Geschwindigkeit der Temperaturänderung. [2, 12]
Das genaue Vorgehen dabei ist abhängig von den beabsichtigten Materialeigenschaften, dem Gusswerkstoff und dem Gießverfahren. So ist z.B. bei Druckgussstücken aufgrund der im Vergleich zu Sand- oder Kokillenguss erhöhten Neigung zur Blasenbildung nur eine eingeschränkte Wärmebehandlung möglich. [12]

Problemstellung

Ein Kunde aus der Automobilindustrie plant die Produktion eines Schwenklagers für ein Fahrwerk als Gussbauteil. Die Geometrie des zu produzierenden Bauteils ist in den CAD-Zeichnungen in Abbildung 1 dargestellt. Als wichtigste Anforderung an die mechanischen Eigenschaften gibt der Kunde vor, eine Dehnung von über 4,5 % sicher zu erreichen. Außerdem sollen die Mindestwerte von 210 MPa für die 0,2 %-Dehngrenzen Rp 0,2 und 260 MPa für die Zugfestigkeit Rm eingehalten werden. Um Gewicht einzusparen, soll das Schwenklager aus einer Leichtmetall-Legierung hergestellt werden.Als Vorbereitung auf die spätere Serienproduktion werden zunächst Prototypen in kleiner Stückzahl (ca. 30) entwickelt, die dazu dienen, weitere Entwicklungs- und Änderungsarbeiten durchzuführen. Ziel dabei ist es, mit möglichst geringem Aufwand Prototypen des Gussteils zu erhalten, um die mechanischen Eigenschaften in Langzeittests im Labor und im Fahrzeug untersuchen zu können. Erst danach ist eine Serienproduktion vorgesehen.

Aufgabenstellung

Sie sind im Rahmen Ihres Industriepraktikums bei der Firma KONCAST GmbH im Bereich Engineering tätig. Ihre Abteilung wird damit beauftragt, den Kunden bei der oben beschriebenen Problemstellung zu unterstützen.
Nach einigen Überlegungen kommen Sie zu dem Schluss, dass folgende Aspekte für das weitere Vorgehen von besonderem Interesse sind:

1. Wahl des Gießsystems/-verfahrens
Leichtmetalle werden überwiegend mit den vier Gießverfahren Druckguss, Kokillenguss, Sandguss und Feinguss vergossen. Bei KONCAST stehen Ihnen zwei Gießverfahren zur Verfügung: der Schwerkraftguss sowie der Niederdruckguss sowohl mit verlorenen Formen als auch in Kokillen.
Wie beschrieben, ist zunächst eine Prototypenentwicklung und später eine Serienproduktion geplant. Wählen Sie für beide Entwicklungsstadien je ein geeignetes Gießverfahren.
Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist dabei auch zu beachten, dass während der Arbeit am Prototypen noch Änderungen am Design möglich sein sollen. Die noch zu wählende Legierung sollte sich in beiden Verfahren verwenden lassen. Die endgültige Geometrie des Prototyps soll mit dem späteren Serienguss (trotz unterschiedlicher Gießverfahren) übereinstimmen. (Informationen finden Sie z.B. in [1] und [6])

2. Legierungswahl
Die wichtigsten Leichtmetall-Gusswerkstoffe sind Aluminiumlegierungen. Die größte Bedeutung kommt aufgrund der besonders vorteilhaften Kombination der Gieß- und Gebrauchseigenschaften den Aluminium-Silicium-Legierungen zu. Zu den vorteilhaften Gießeigenschaften dieser Legierungen zählen neben einer niedrigen Gießtemperatur und einem geringen Schwindmaß eine, bei optimaler Wahl des Si-Anteils, geringe Lunkerneigung. Für den Fahrzeugbau sind darunter die Gruppen AlSi, AlSiMg und AlSiCu am gebräuchlichsten.
Wählen Sie für die genannte Anwendung eine adäquate Legierung aus. Neben der zu erreichenden Bruchdehnung von >4,5 % sollen auch eine hohe Festigkeit und Härte erreichbar sein. Beachten Sie, dass die Legierung für die Prototypen in der chemischen Zusammensetzung identisch sein soll mit der später in der Serienproduktion verwendeten Legierung. (Informationen finden Sie z.B. in [1] und [11])

3. Wärmebehandlung
Nach weiterer Recherche kommen Sie zu dem Schluss, dass die gewünschten mechanischen Eigenschaften für die Prototypen und die Serie im Gusszustand (F) (siehe [11]) nicht zu erreichen ist. Daher ziehen Sie in Betracht, eine Wärmebehandlung des Gussteils durchzuführen.
Welche Art der Wärmebehandlung schlagen Sie vor? Was sind die einzelnen Schritte hierbei und bei welchen Temperaturen und über welche Dauer werden diese für den gewählten Werkstoff optimaler Weise durchgeführt? (Informationen finden Sie u.a. in [12])

4. Schmelzbehandlung/Veredelung
Das aus dem (Rest-)Eutektikum erstarrende Silizium hat die Form von Nadeln oder Plättchen. Diese können die Duktilität des Gussteils negativ beeinflussen. Um die Morphologie dieser SI-Partikeln zu verbessern, kommen verschiedene Möglichkeiten in Frage. Eine Maßnahme stellt eine möglichst schnelle Abkühlung dar, um die Erstarrungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Eine weitere Möglichkeit ist die Zugabe von Fremdkeimen. Welche Zusätze schlagen Sie vor? Was bewirken diese im Gussgefüge? (Einen ersten Überblick erhalten Sie in den gängigen Online-Enzyklopädien bzw. in [2])

Um Ihre Ergebnisse der Abteilung vorzustellen, werden Sie gebeten, eine kurze Präsentation zusammenzustellen. Ziel ist es, Ihrer Abteilung die angestellten Überlegungen zu verdeutlichen und aufzuzeigen, wie Sie zu Ihrer Wahl gekommen sind.
Hinweis: Es ist nicht zweckmäßig, die genannten Punkte, strikt der Reihe nach, getrennt voneinander zu bearbeiten. Vielmehr ist der Herstellungsprozess in seiner Gesamtheit unter Einbeziehung aller Aspekte zu betrachten.

Literatur

Die folgende Literatur kann Sie bei der Erstellung der Lösung unterstützen. Auf einige der Bücher kann über die angegebenen Links zugegriffen werden. Die angegebenen Normen stehen Ihnen in der Datenbank Perinorm zur Verfügung, auf die über die ULB Darmstadt zugegriffen werden kann.
Hinweis: Der Zugriff auf SpringerLink und lizenzierte Volltexte der ULB ist nur innerhalb des Universitätsnetzwerks möglich.
[1] Fritz, A. H.; Schulze, G.: Fertigungstechnik, Springer Verlag 2012 Link zum Buch: http://link.springer.com/book/10.1007/978-3-642-29786-1
[2] Ostermann, Friedrich. 2014. Anwendungstechnologie Aluminium. 3., neu Bearbeitete Auflage. VDI-Buch. Berlin: Springer Vieweg.
Link zum Buch: https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-662-43807-7
[3] Böge, A.: Handbuch Maschinenbau, Springer Verlag 2009, S. 969-980 (Urformen) Link zum Buch: http://link.springer.com/book/10.1007/978-3-8348-9249-2)
[4] Bührig-Polaczec, A., Michaeli, W., Spur, G.: Edition | Handbuch der Fertigungstechnik, Band 1: Handbuch Urformen, Carl Hanser Verlag, München, 2014.
[5] Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG): VDG-Merkblatt K 200, Düsseldorf, 2005.
[6] Grundlagen der Gießereitechnik (VDG), Verein Deutscher Giessereifachleute; TU München Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen, 2005.
[7] Fritz Klocke: Fertigungsverfahren 5: Gießen, Pulvermetallurgie, Additive Manufacturing, Springer-Verlag, 2015. Link zum Buch: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-540-69512-7_2

[8] E. Westkämper, H.-J. Warnecke: Einführung in die Fertigungs-technik, Einführung in die Fertigungstechnik 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, 2010. Link zum Buch: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-8348-9798-5 [9] Weißbach, W.; Dahms, M.; Jaroscheck, C.: Werkstoffe und ihre Anwendungen. Springer 2018. Link zum Buch: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-19892-3 [10] DIN 8580. Fertigungsverfahren – Begriffe, Einteilung; E DIN 8580:2020-01 [11] DIN EN 1706. Aluminium und Aluminiumlegierungen – Gussstücke – Chemische Zusammensetzung und mechanische Eigenschaften; Deutsche Fassung EN 1706:2020 [12] Gesamtverband der Aluminiumindustrie e.V. (GDA): Aluminium-Zentrale. Merkblatt W7, Wärmebehandlung von Aluminiumlegierungen, Düsseldorf, 2007.